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Donnerstag, 17. Juli 2008

Von der Gestalt des Todes

Ich habe gerade in meinem Ordner für beendete Texte eine Geschichte gefunden, an die ich mich selbst nicht mehr erinnern konnte, bevor ich sie jetzt eben gelesen habe.
Ich muss sie wohl vor zwei Jahren geschrieben haben, sie dann aber irgendwo abgelegt haben.
Nun ja, ich platziere sie hier, um euch einen Einblick in meinen früheren Schreibstil zu gewähren.



Von der Gestalt des Todes



Er wandelte mit der Sicherheit eines Mannes, der dem Tod schon tausendmal ins Gesicht gelacht hatte, durch den nächtlichen Wald. Der Schnee unter seinen Füßen knirschte leise bei jedem Schritt, den er tat, das fahle Licht des Vollmonds zauberte einen sachten Glanz auf die unberührte Fläche von reinem Weiß.
Sachter Wind, der eine eisige Kälte mit sich trug, verursachte fast melodische Klänge, als er zwischen Eiszapfen, die teilweise an den Ästen hingen, hindurchstreifte.
Die Hände des Wanderers begannen allmählich taub vor Kälte zu werden – es kümmerte ihn wenig.
Löste jedoch ein sachtes Gefühl des Unbehagens in ihm aus, das nichts mit dem körperlich unangenehmen Empfinden zu tun hatte. Er erinnerte sich an die vielen Gelegenheiten, in denen der Tod ihn holen hätte können und daran, dass er sich in diesen Momenten sicher gewesen war, ins Antlitz des Todes gesehen zu haben – dennoch musste er sich eingestehen, dass er nicht die geringste Ahnung davon hatte, wie diese Gestalt, vor der sich die Menschheit seit ihrem Entstehen ängstigte, tatsächlich aussah.
Er hatte Erzählungen gehört und Literatur studiert – doch er schenkte den Dingen, die er dabei erfahren hatte, keinen Glauben. Er war sich sicher, sie waren von Menschen wiedergegeben worden, die ihrer Angst vor dem Tod Ausdruck verleihen haben wollen. Deshalb wohl hatte der Tod den Ruf eines klapprigen Skeletts, das in eine schwarze Kutte gehüllt war und bedrohlich mit Sichel und Sanduhr auf die Sterbenden zukam.
Er jedoch, der nun durch die bitterkalte Nacht wanderte, ohne ein wirkliches Ziel zu haben, hatte zu diesen Beschreibungen immer nur gelacht…und vielleicht, so fühlte er, hatte er mittlerweile damit begonnen, nach der wahren Erscheinung des Todes zu suchen. Er sehnte sich in seltsamer Weise danach, Gewissheit darüber zu erlangen, wie das, das den Menschen am meisten Angst machte und dem sie dennoch niemals entkommen konnten, tatsächlich aussah…ob es Gestalt hatte oder einfach bloß aus einem einzigen Gefühl bestand.
Womöglich war alleine das der Grund gewesen, aus dem er heute Nacht aufgestanden war und zu wandern begonnen hatte. Er hatte in der Armee des Königs ausgedient und war einer der wenigen, der seine Pensionierung wirklich erlebte – aber er war deshalb nicht glücklich.
Er konnte sich an die Stunden erinnern, in denen er dem Tod am nächsten gewesen war. Er hatte sich in einem Teil seines Bewusstseins befunden, in dem es keine Angst und keine Zweifel mehr für ihn gegeben hatte. Keinen Schmerz und nicht einmal Verunsicherung.
Er hatte einen sachten, warmen Hauch gefühlt, der ihn die ganze Zeit über begleitet hatte und jedes Empfinden von Kälte mit sich genommen hatte…er hatte ihn direkt auf einen Abgrund zugetrieben, der hinab in etwas geführt hat, das er nicht kannte…aber er hatte sich des Öfteren dabei ertappt, wie er zu träumen begonnen hatte…und zu wünschen, der Hauch hätte ihn über diese Klippe hinausgetragen.
Um ihn herum verstummte der Wind und tränkte die Nacht in eine unerträgliche Stille. Das Knarren seiner Stiefel im Schnee schien plötzlich zu allen Seiten hin in unglaublicher Lautstärke zu dringen…und verhallte, als die Füße, die ihnen steckten, zum Stillstand kamen.
Durch die nächtliche Schwärze drang ein schwacher Lichtstrahl, der sich ihm immer weiter näherte und schließlich die Umrisse einer Laterne offenbarte.
Sein zum Boden gerichteter Blick erfasste als erstes zwei zarte, nackte Füße, die über den Schnee wanderten.
„Was suchst du?“, fragte eine leise, weibliche Stimme. Ihr Klang war weich und beruhigend.
Der Blick des Gefragten wanderte weiter nach oben über den schlanken Körper einer jungen Frau, der in ein weißes, dünnes Kleid gehüllt war. Schwarzes, langes Haar fiel über ihre Schultern und ein freundliches Lächeln tauchte in ihrem Gesicht auf, als er ihr endlich in die Augen sah.
„Was immer es ist…erzähle es mir nachher…es ist kalt hier“, unterbrach die Frau ihn, bevor er auch nur über eine Antwort nachgedacht hatte. Sie deutete ihm, ihr zu folgen und fast willenlos gehorchte er.
Sie führte ihn in eine kleine, komfortabel eingerichtete Hütte im Wald, die ihm niemals zuvor aufgefallen war.
„Hier ist es besser…“, meinte sie sanft und entfachte ein Feuer in einem kleinen Kamin, der gegenüber der Tür lag.
„Dein Name?“, erkundigte sie sich freundlich und sah ihn aufmerksam an.
„Viktor“, erwiderte er, obwohl er nicht glaubte, dass diese Auskunft notwendig gewesen wäre. Das Lächeln der jungen Frau ließ ihn schließlich sicher werden, dass sie bereits gewusst hatte, wonach sie gefragt hatte.
„Was suchst du?“, wiederholte sie die erste Frage, die sie an ihn gerichtet hatte.
„Ich weiß es nicht“, gab Viktor zurück. Erst jetzt, als die Fremde ihn danach fragte, wurde ihm überhaupt bewusst, dass er auf der Suche nach etwas gewesen war.
„Das ist nicht wahr, Viktor“, erwiderte sie und lachte leise. Es war ein angenehmer Klang.
„Nein…auch wenn du es selbst immer noch glaubst…“ Sie trat einen Schritt näher an ihn heran und betrachtete ihn lächelnd. „Du suchst doch nach einer flüchtigen Bekannten…erkennst du mich denn nicht?“
Sein Mund öffnete sich ein Stück weit, seine Lippen vermochten es aber nicht, auch nur eine Silbe zu formen.
„Aber Viktor…“, meinte die Frau enttäuscht und schüttelte den Kopf. „Wir sind uns doch schon etliche Male begegnet…immer habe ich dich aus meinen Armen entlassen, doch nun ist meine Sehnsucht nach dir zu groß…genauso, wie die deine nach mir“ Sie begann wieder zu lächeln und musterte ihn noch einmal.
Von jeder anderen hätte er behauptet, der Verstand wäre ihr entglitten…hier aber wusste er, dass die junge Frau die Wahrheit sprach. Aber er konnte sich nicht an ihr Gesicht erinnern. Nur an ihre Berührung.
„Wir haben beide große Geduld bewiesen…es wird Zeit, uns endlich zu nehmen, worauf wir gewartet haben“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, legte ihre warmen Hände an seine Wangen und küsste ihn so innig, wie keine andere Frau es jemals vor ihr getan hatte.
„Es stimmt, was sie sagen, Viktor. Die Gestalt, von der sie sprechen ist Realität…aber nur für die, die zu stur sind, um den Tod zu akzeptieren. Die ihn von sich stoßen wollen und ihn verachten…das hat er nicht verdient, Viktor. Er fügt kein Leid zu, er erlöst davon…und er ist niemals grausam, bloß die Zeit, die ihm vorausgeht, kann es sein. Der Tod will niemandem Böses tun, er macht, was ihm von der Schöpfung aufgetragen worden ist…und es ist nicht gerecht, dass man ihn dafür verachtet und hasst…ihn sogar seiner Tätigkeit berauben will, indem man ewiges Leben schafft! Wie soll man sich denn solchen Menschen gegenüber zeigen? Doch nicht als die Gnade, die man sein kann…und auch nicht mit der Schönheit, die man selbst unter schwarzen Schatten an sich trägt“, meinte sie dann, nachdem sich ihre Lippen von den seinen gelöst hatten.
„Du aber nimmst ihn an, wie er ist…und deshalb gewährt er dir das, was anderen verwährt bleibt“ Sie nickte mit einem erfreuten Lächeln und umarmte ihn fest. „Aber du hast Angst Viktor…“, stellte sie dann sanft fest. „Das ist nicht verwerflich, das Unbekannte macht Angst…aber du wirst sehen, dass sie unbegründet ist.“
„Wer bist du?“, schaffte er es endlich, einen vollständigen Satz hervorzubringen.
„Du bist allerliebst, Viktor!“ Die Frau lachte ein wenig spöttelnd. „So erfahren und doch so…schwer von Begriff. Ich bin es doch! Wage es ruhig, mich zu erkennen!“
„So seid ihr Menschen nun einmal…ihr begreift und wollt es einfach nicht…und so weh ihr mir auch schon getan haben mögt mit eurer fehlenden Akzeptanz und eurer Abscheu, liebe ich euch. Und ich biete euch Erlösung von jeglichem Leid, jeder Angst und jedem anderen schlechten Gefühl! Ich biete euch die Freiheit, die ihr euer Leben lang sucht, aber niemals findet…warum könnt ihr mich nicht auch lieben?“, fuhr sie fort, als Viktor nur schwieg. Sie schien einen Moment so traurig, dass er das Bedürfnis bekam, sie zu trösten.
„Du bist einer der wenigen, die das können…und es auch irgendwo in sich tun…Viktor, deshalb eröffne ich dir meine ganze Schönheit und meine ganze Liebe. Ich bin das, wonach du dich heute gesehnt hast…ich bin der Grund, aus dem du hierher gekommen bist. Du bist bereit“ Sie schmiegte sich eng an ihn und lächelte ihn dann erfreut an. „Endlich darf ich dich bei mir behalten.“
„Bereit?“, erkundigte Viktor sich ein wenig beklemmt. Er hatte längst begriffen, aber es überstieg seine Vorstellungskraft.
„Dafür, zu erfahren, was hinter dem Abgrund liegt…heute werde ich dich über ihn hinaustragen…“ Sie küsste ihn noch einmal. Ihr Atem streifte seine Wange und es war derselbe Hauch, dasselbe Gefühl, dass er in der Stunde gehabt hatte, in dem er dem Tod am nächsten gewesen war.