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Donnerstag, 9. August 2007

Engelsschuld

Eine etwas ältere Geschichte, die nicht ganz meinen endgültigen Schreibstil widerspiegelt - dennoch, ich wünsche viel Spaß^^

Der Schein eines weißen, hellen Mondes spiegelte sich im pechschwarzen Haar eines Engels wider.
Eine ungebrochene Schönheit umhüllte ihn seit es Zeit auf Erden gab. Und gleichzeitig begleitete ihn der Fluch der Höchsten.
Irgendwann würde alles Hohe zu Grunde gehen, um neue Herrschaft zu erlauben – alles Wunderbare und Unfehlbare war mit seinem Entstehen einem grausigen Untergang geweiht.
„Loreley, es ist nicht deine Aufgabe, über das schlafende Volk dort unten zu wachen“ Die Stimme ihres Bruders war hart. Er hatte Recht, es war seine Aufgabe.
„Ich wache nicht über sie“, erwiderte sie leise. Aus ihren Flügeln löste sich eine einzelne Feder im Wind und glitt sacht hinab über die Klippe, auf der sie saß, in das Tal unter den kristallenen Bergen.
Es war die Aufgabe ihres Geschlechts, über alles Existierende zu wachen. Sie durften sich ihnen niemals zeigen, sie durften nur richten.
Die Gabe des Fühlens war ihnen zwar gegeben, aber keiner der Richter beherrschte sie. Nur die Wächter waren imstande, von ihr Gebrauch zu machen. Sie mussten es, um überhaupt auf das Geschehen unter ihnen reagieren zu können.
Loreleys Bruder Luzifer war der Wächter der Dunkelheit und des schlafenden Volkes. Sie selbst wachte nur über die Natur.
„Dann geh“ Luzifer packte sie am Arm und zog sie in die Höhe. Dabei löste sich auch aus seinen Flügeln eine Feder. Sie war schwarz. Als sie Loreleys Wange berührte, schmerzte es wie ein Schlag.
Sie keuchte auf und befreite sich aus dem Griff ihres Bruders. Dieser lachte kalt, als sie ihm ins Gesicht sah.
„Geh“ Seine Augen glühten plötzlich auf. Loreley nickte schwach und lief in ihre Gemächer. Wände und Boden waren aus reinem Kristall und spiegelten ihr Gesicht wider. Ein Schnitt entstellte ihr einst so reines Gesicht.
Entsetzt fuhr sie herum und rannte über lange Treppen und Gänge hinunter zu Uriel, dem Wächter der Schrift.
Dieser schien sie zu erwarten.
„Die Schamanen der drei Völker prophezeien den Untergang der höchsten sterblichen Gewalt durch einen der ihren“, flüsterte er und nahm ihr Gesicht in eine Hand. Seine Augen blieben an dem Schnitt hängen.
„Wer hat das getan?“, fragte er. Es klang beinahe ängstlich.
„Niemand…ich weiß nicht, wie es passiert ist“ Sie streifte sacht Uriels Hand ab. „Was prophezeien sie genau?“
„Nur ein einziger Engel wird übrig bleiben…die anderen werden ihm dienen, ohne sich dieser Sache bewusst zu sein“ Uriels Augen spiegelten Schmerz wider.
„Woher wissen sie das?“ Loreley hatte noch nie begriffen, wie die drei unteren Völker, Orks, Druiden und Zwerge manchmal soviel mehr wissen konnten, wie ihr Volk, das ihnen allen vorstand.
„Wir wissen Dinge über sie, die sie niemals erfahren werden, bis es geschieht…und ihnen wurde die Gabe gegeben, über uns zu wissen…“ Uriel zuckte mit den Schultern.
„Wann?“ Loreley sah ihn an. Uriel wandte sich um, zu einer Öffnung in der Bergwand. Er senkte den Kopf und bewegte die Lippen zu einem Wort, das sie nicht genau erkannte.
Dann gellte ein Schrei durch die kristallenen Berge. Es war ein Laut, den sie nur von den unteren Völkern kannte…ein Gefühl, das ihr Volk noch niemals gefühlt hatte, spiegelte sich in ihm…Schmerz.
Loreley fuhr herum und rannte dem nicht endenden Schrei hinterher. Uriel folgte ihr leise.
Der Schrei führte sie in ihre Gemächer. Die restlichen Wächter standen dicht gedrängt und starr vor Entsetzen davor.
Loreley drängte sich durch sie hindurch, unzählige Engelsfedern lagen auf dem Boden verstreut.
Schwarze wie weiße.
„Luzifer!“ Loreley stieß die anderen beinahe gewaltsam zur Seite.
Ein ausgerissener Flügel lag vor ihrem Himmelbett, eine große Lache aus Blut hatte sich um ihn herum ausgebreitet. Aber der Flügel war nicht schwarz.
„Luzifer…“, murmelte Loreley kraftlos.
Während ihr Tränen über die Wangen rannen, folgte sie der blutigen Schleifspur, die von dem Flügel ausging. Sie führte sie hinaus auf den Vorsprung, auf dem sie zuvor gesessen hatte.
Ihr Bruder hockte weit über den toten Körper eines anderen Engels gebeugt da. Seine Lippen lagen auf dem blutverschmierten Hals des anderen.
„Luzifer…!“ Der Schrei blieb ihr im Halse stecken. Dennoch starrte sie ihr Bruder plötzlich an. Seine Augen waren weit aufgerissen und vor Mordlust glänzend. Sein Mund war von Blut bedeckt. Mit einem genüsslichen Gesichtsausdruck leckte er es auf.
Loreley torkelte ein Stück nach vorne und übergab sich.
Plötzlich packte sie Luzifer bei den Schultern und stieß sie hinüber zu dem Toten.
„Trink…trink und wir herrschen gemeinsam…“, hauchte er ihr ins Ohr. Ein Blutstropfen fiel auf ihre Schulter.
„Nein…“ Mit verzweifelter Kraft bäumte sie sich gegen ihren Bruder auf.
„Dummes Kind…es macht uns unsterblich…soviel mächtiger…“, flüsterte er verführerisch und drückte sie hinab zum Hals des Toten.
Loreley presste die Lippen fest aufeinander und wehrte sich mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte. Doch ihr Bruder war stark…stärker als jemals zuvor.
„Gott…“, wimmerte sie verzweifelt und hilfesuchend.
„Ich bin dein Gott!“, fuhr sie Luzifer an und riss sie in die Höhe. Seine Finger gruben sich fest in ihren Hals.
Uriel war der einzige, der reagierte. Er warf sich unvermittelt auf Luzifer. Dieser lachte nur kalt. Er war plötzlich größer geworden.
Er stieß Uriel mit einer beiläufigen Bewegung zur Seite, hob seine Schwester am Hals in die Höhe und schleuderte sie schließlich von sich. Dann stürzte er sich auf Uriel.
Der Kampf dauerte kaum eine Minute.
Uriel kämpfte zwar, aber er war machtlos gegen Luzifers durch Blut gewonnene Stärke. Loreleys Bruder riss ihm laut lachend beide Flügel mit spielender Leichtigkeit aus dem Rücken.
Uriel schrie gepeinigt auf und sank in die Knie.
Luzifer lachte vor Vergnügen noch lauter, packte Uriel noch einmal und warf ihn dann über die Klippe hinab ins Tal der Niederen.
Loreley kreischte laut auf, sprang auf die Füße und schlug wie von Sinnen auf ihren Bruder ein.
„Loreley…meine arme Schwester…du solltest es doch nicht sehen…noch nicht…du bist noch nicht bereit“ Er packte sie mit einer Hand und strich ihr mit der anderen mitleidig über das Haar.
„Monster! Du Monster!“ Sie zerkratzte ihm mit ihren Nägeln das Gesicht. Er sah sie nur noch mitfühlender an.
„Nein…nicht Monster…Teufel“, verbesserte er sie sanft und schleuderte sie im nächsten Moment so heftig gegen die Wand, dass sie das Bewusstsein verlor.

Bei ihrem Erwachen lag sie in einer Lache aus Blut. Unzählige Federn schwammen darin und ganze Flügel bedeckten den einst so reinen Boden.
Luzifer hockte neben einer Leiche und trank gierig ihr Blut.
Kein anderer war noch hier…nur sie, Luzifer und zwei Tote. Zitternd kniete sie sich hin und sah sich um.
Plötzlich stand ihr Bruder auf.
„Loreley…siehst du, was ich alleine vollbringen konnte? Nur durch dieses Blut…trink es und wir können endlich nehmen, was uns zusteht.“
„Was steht uns zu?“, fragte sie mit wankender Stimme.
„Das alles hier…die alleinige Herrschaft“ Luzifer kam zu ihr herüber und nahm sie fürsorglich in die Arme.
„Die anderen…“ – „Interessieren uns nicht mehr. Sie sind tot“, unterbrach sie Luzifer sacht.
Loreley begann haltlos zu schluchzen. Sie stieß ihren Bruder zurück und sprang auf die Beine.
Taumelnd trat sie an eine Kiste heran, die neben ihrem blutverschmierten Bett stand. Mühsam hob sie den Deckel hoch.
Das Schwert ihres Bruders lag darin. Es war noch niemals verwendet worden.
„Loreley…du willst doch nicht gegen mich kämpfen, Schwester?“ Luzifer betrachtete sie lächelnd.
„Nein…“ Loreley betrachtete die Klinge. Dann schnitt sie sich die Flügel ab.
Es tat weniger weh, als sie befürchtet hatte.
„Loreley! Was tust du?!“ Luzifer sprang an ihre Seite und betrachtete ihre Tat. Loreley gab ihm keine Rechenschaft.
Schwankend bemühte sie sich, die Klippe zu erreichen, über die Luzifer Uriel geworfen hatte.
„Loreley…komm zu mir…was soll das?“ Luzifer streckte einen Arm nach ihr aus. Loreley sah ihn mit tränenverschleiertem Blick an.
„Das ist deine Schuld…“, murmelte sie leise und sprang.

Nach einer langen Zeit unerträglicher Schmerzen wachte sie auf. Uriel saß neben ihr und wusch ihr Gesicht mit einem nassen Fetzen. Sie fragte sich, ob das der Tod war, oder ob sie nur gerade aus einem abscheulichen Albtraum erwachte.
Aber Engel träumten nicht.
„Nein, Loreley, das ist nicht der Tod“ Uriel gab ihr zu trinken.
Sie setzte sich vorsichtig auf.
„Wie geht es dir?“, fragte er besorgt und sah ihr genau ins Gesicht. Loreley antwortete ihm nicht. Sie sah sich um. Die Landschaft war dicht bewaldet…sie befanden sich in der Natur, die sie immer beschützt hatte. Alle anderen, die sie tot gedacht hatte, waren hinter Uriel damit beschäftigt, Unterschlüpfe aus Holz und Gras zu bauen.
„Wie fühlst du dich?“ Uriel ließ sich durch ihr langes Schweigen nicht aus der Fassung bringen.
„Elend…wenn das nicht der Tod ist…was ist es dann?“ Loreley sah sich noch einmal um.
„Das hier ist nur das Tal der Niederen. Weißt du noch, als ich dir gesagt habe, dass es einmal vier Völker hier geben würde?“ Uriel legte ihr eine Decke um die Schultern.
Loreley nickte langsam.
Uriel lächelte mild. Er drückte sie an sich und seufzte tief.
„Wir sind das vierte“, erklärte er dann leise. „Es fühlt unwillkürlich und unterliegt eigenen Bedürfnissen…und Schmerz ist sein ständiger Begleiter…“
„Das ist…schrecklich“ Loreley ließ sich gegen seine Brust sinken.
„Nicht immer…“, beschwichtigte er sie, „manche Gefühle sind neu und durchaus akzeptabel.“
„Welche denn?!“, fragte sie aufgebracht. Musste im selben Moment jedoch auch feststellen, dass sie selbst etwas empfand, das sie nicht definieren konnte. Es tauchte immer dann auf, wenn sie Uriel ansah.
„Liebe zum Beispiel“ Uriel strich über ihre Wange. „Diese Narbe wird dir leider bleiben“, meinte er dann und fuhr eine Linie in ihrem Gesicht nach.
„Was ist Liebe?“ Loreley befreite sich aus seinem Griff.
„Das, was ich für dich empfinde“ Uriel sah sie mit einem sanften Ausdruck in den Augen an.
Loreley schüttelte verwirrt den Kopf. Sie war sich jedoch sicher, dass sie schon bald begreifen würde, wenn sie das Leben fristete, das sie nun fristen musste.
„Welcher Engel blieb übrig?“, fragte sie zittrig.
„Luzifer…“, gab Uriel traurig zurück, „Wächter der Dunkelheit und des Bösen. Nach den Aufzeichnungen werden wir ihm dienen.“
„Und wie nennt sich unser neues Volk nun?“, fragte sie leise. Uriel seufzte und lächelte gleichzeitig „Wir sind das Volk der Menschen, Loreley.“ Dann hob er sie vorsichtig hoch und trug sie neben ein Feuer, das gerade durch den einst höchsten Richter der Engel entfacht worden war.